Premiere: EIN HALBES JAHRHUNDERT. Dezember 2016 18:15. In Anwesenheit der Filmemacherin, mit anschliessendem Publikumsgespräch. Regie: Carla Haas; mit Christoph Marti; Dokumentarfilm; CH 2016, Dialekt ohne Untertitel, 1h53h. Ein Spaziergang durch die Zeit und durch das Haus. Im Jahr 2016. Eine gut einstündige Reise durch Geithains gastronomische Welten vor einem guten Jahrhundert und heute hat Bernd Bräuer zu einem Film gemacht - und dessen Uraufführung selbst nicht mehr erlebt: Ende September starb der Geithainer 71-jährig nach schwerer Krankheit. Zur Premiere des Films, den er im Frühjahr mit Unterstützung von Ulrich Ibrügger gedreht hatte, kam kurz darauf mehr als ein halbes hundert Besucher ins Kaffeehaus Otto, dem angestammten Sitz des Geithainer Heimatvereins. „So viele Besucher hatten wir noch nie“, sagte Vereinschef Bernd Richter. Er misst dem Film großen Wert bei, denn: „Endlich hat sich mal jemand intensiv um die alten Gaststätten gekümmert und damit ein wichtiges Kapitel Stadtgeschichte aufgearbeitet.“ Es sei bedauerlich, dass Bräuer die Aufführung selbst nicht mehr habe erleben können. Politischer Protest : Unschuldig, Wütend – Und MächtigLautsprechersysteme von Weltrang montiert das Unternehmen Musikelectronic Geithain seit Jahrzehnten in einem Haus in der Innenstadt, das einst die „Garküche“ beherbergte. Ein Lokal, in dem 1920 die Ortsgruppe der Geithainer Kommunisten gegründet wurde. Nur wenige Schritte entfernt in der Leipziger Straße befand sich der „Gambrinus“; später gab es im Haus ein Wannenbad und bis nach der Wende das Postamt. Die „Linde“ in Wickershain verfügte einst über einen prächtigen Biergarten. Nach dem Krieg nutzte die Perwina, ein Nahrungsmittelbetrieb, das Objekt, schließlich ein Möbellager. Heute befindet sich ein betreutes Wohnen darin. Drei Beispiele von Geithainer Gaststätten, die es so nicht mehr gibt. Beispiele, die nur kleine Mosaiksteine eines Bildes sind, das in besten gastromischen Zeiten aus mindestens 26 Etablissements zusammengesetzt war. Trotz des ausgedehnten Streifzuges von Bernd Bräuer und Ulrich Ibrügger mit Kamera und historischen Ansichtskarten scheint in dem Film nur ein Teil dessen auf, was die kulinarische und gesellige Landschaft Geithains seit dem Ende des 19. Jahrhunderts prägte. „Verzeichnisse der Geschäfte und Gewerbetreibenden“ 1895, 1905, 1910 und 1927 bilden das Gerüst, die Karte aus Ibrüggers umfangreicher Kartensammlung erhellen das, was heute längst nicht mehr sichtbar ist. Der Film beginnt in der Querstraße/Ecke Chemnitzer Straße, einem Lokal namens „Kurve“, in dem in den DDR-Jahren Vereine, Volkssportler und Skatfreunde verkehrten, sich an Sülze und Brühe – mit oder ohne Ei – delektierten. Ibrügger war unter ihnen, außerdem war er „wir alle Geithainer irgendwann im Haus Altenburg und in der Grünen Aue, die heute wieder Schützenhaus heißt“. Besagtes Haus Altenburg, vor dem Hotel Stadt Altenburg, Bahnhofstraße 1, galt als erstes Haus am Platz, hatte einen Ball- und Konzertsaal, war 1927 Klublokal des ADAC. Vor 50 Jahren Wurde Das Museum Villa Stuck EröffnetIn der sozialistischen Kreisstadt wurde das Haus umgebaut und erweitert, bot Jugendweihen und Frauentagsfeiern, Tanzstunden, Fasching, politischen Manifestationen Raum. In den 90er-Jahren abgerissen, errichtete die VR-Bank hier einen Neubau. Vis a vis an der Südseite des Marktes markiert ein goldener Löwe über dem Portal mit der Jahreszahl 1514 den gleichnamigen Gasthof, der über Jahrhunderte Ausspanne war. Am Markt ebenso – aber nicht, wie üblich, im Untergeschoss des Rathauses – der Ratskeller: Er befand sich im Markt 2, einem Haus mit beeindruckendem Porphyrportal, später Schuhmacherwerkstatt, heute Immobilienbüro. Eine Entdeckung für den Film sind die Fotografien der Bahnhofswirtschaft, eines Hauses, das unter der Regie von Werner Opelt ausgesprochen stilvolle Feste auszurichten verstand. Abgerundet wird der Film durch ein Exkurs via historischer Postkarten durch das Geithainer Umland. Der Bogen spannt sich vom Deutschen Haus in Ebersbach über längst vergessene Einkehrstätten in Theusdorf und Nauenhain bis zu Dölitzschs Heiterem Blick. „Das hätte noch ein weiterer schöner Film werden können“, sagt Ulrich Ibrügger. Mit Bernd Bräuer, nach der Wende Mitglied des Geithainer Stadtrats und Leiter der Volkshochschule, hatte Ibrügger bereits einen Rundgang durch die Altstadt-Geschichte in Szene gesetzt. Der Heimatverein will ihn Anfang nächsten Jahres samt seiner Kartensammlung einladen, um das im Film Gesehene zu vertiefen und den Blick auszuweiten.
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March 2019
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